Das Wichtigste in Kürze:
- Nahrungsergänzungsmittel werden rechtlich als Lebensmittel eingestuft und sind lediglich dazu bestimmt die Ernährung von gesunden Personen zu ergänzen.
- Es wird keine Zulassung benötigt, um sie auf den Markt zu bringen. Es besteht lediglich eine Anzeigepflicht.
- Für die Sicherheit und Wirksamkeit ist der Hersteller verantwortlich.
- Rein äußerlich sind sie nur schwer von ähnlich aufgemachten Produkten wie Arzneimitteln oder Medizinprodukten zu unterscheiden.
- Ob die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden, kontrollieren die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Bundesländer (Stichproben).
- Vor allem bei der Kennzeichnung gibt es viele Defizite, so dass fast jede zweite Probe von den Kontrollbehörden beanstandet wird.
Worum handelt es sich bei Nahrungsergänzungsmitteln aus rechtlicher Sicht?
Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die dafür bestimmt sind, die allgemeine Ernährung von gesunden Personen zu ergänzen. Es sind Konzentrate von Nährstoffen oder anderen Stoffen, die in dosierter Form zum Beispiel als Kapseln, Tabletten, Pillen, Pulverbeutel oder Flüssigampullen in Verkehr gebracht werden und ernährungsspezifisch oder physiologisch wirksam sein sollen. Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel, Medizinprodukte oder Betäubungsmittel und dürfen auch keine psychoaktiven Substanzen (wie THC, HHC oder Muscimol) enthalten.
Auf der Internetseite des Bundeszentrum für Ernährung gibt es Informationen zu Nahrungsergänzungsmitteln auch in einfacher Sprache.
Was sind Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln?
Weil Nahrungsergänzungsmittel aus rechtlicher Sicht Lebensmittel sind, müssen sie kein Zulassungsverfahren durchlaufen, und kommen damit ohne behördliche Prüfung von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit auf den Markt. Für die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften ist allein der Hersteller, Händler oder Importeur zuständig. Ausgenommen davon sind lediglich neuartige Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutaten, diese bedürfen einer Zulassung durch die EU.
Vor Inverkehrbringen müssen Nahrungsergänzungsmittel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angezeigt werden. Hier reicht es bisher, den Namen des Produkts und des Verantwortlichen (Hersteller, Händler oder Importeur) zu benennen sowie ein Muster des Etiketts beizufügen. Das BVL prüft die Anzeige ausschließlich auf Vollständigkeit und leitet sie dann an die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) weiter. Leider wird dieser Anzeigepflicht längst nicht immer nachgekommen, wie die Marktchecks der Verbraucherzentralen gezeigt haben. Das "Vergessen" ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit.
Was unterscheidet Nahrungsergänzungsmittel von anderen Produktkategorien?
Neben den Nahrungsergänzungsmitteln sind weitere Produktgruppen wie Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ergänzende bilanzierte Diäten), frei verkäufliche Arzneimittel sowie Medizinprodukte auf dem Markt, die wegen ihrer Aufmachung und Darreichungsform (Kapseln, Pillen, Tabletten etc.) leicht miteinander verwechselt werden können. Zusätzlich wird die Unterscheidung für Verbraucher:innen erschwert, weil die Produkte in Supermärkten, Apotheken und im Internet gemeinsam im Regal angeboten werden.
In den letzten Jahren kamen immer mehr Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, denen Stoffe bzw. Substanzen zugesetzt wurden, die bisher nur im Arzneimittelbereich zu finden waren, z.B. Heilpflanzenextrakte ohne pharmakologische Wirkung. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch (Wirkung nicht nachgewiesen, Nebenwirkungen nicht beschrieben, Extrakte nicht standardisiert etc.).
Daneben werden Produkte als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ergänzende bilanzierte Diäten, EBD) vermarktet. Ergänzende bilanzierte Diäten sind frei verkäuflich, tragen aber den Hinweis, dass sie unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden müssen. Angegeben werden muss außerdem die Zweckbestimmung " Zum Diätmanagement bei ...“, ergänzt durch die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden, für die das Erzeugnis bestimmt ist. Dazu muss auf dem Produkt angeben sein, durch welche Eigenschaften und/oder Merkmale es für die Verwendung bei dieser Erkrankung besonders geeignet ist. Die für Nahrungsergänzungsmittel unter bestimmten Voraussetzungen erlaubten gesundheitsbezogenen Angaben (Health Claims) sind für diese Produkte verboten. EBDs dürfen keine pharmakologische Wirkung haben, das bleibt Arzneimitteln vorbehalten.
In unserer Tabelle sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Nahrungsergänzungsmitteln, Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke, Arzneimitteln sowie Medizinprodukten im Überblick dargestellt.
Warum ist die derzeitige rechtliche Situation problematisch?
Weiterhin ist eine rasante Entwicklung im Marktsegment der Nahrungsergänzungsmittel zu beobachten (mehr als 10.000 neu angezeigte Nahrungsergänzungsmittel pro Jahr mit steigender Tendenz). Zunehmend werden darin Stoffe oder Substanzen zugefügt, die bislang nur in Arzneimitteln verwendet wurden, die aus der traditionellen chinesischen Medizin TCM stammen, bisher gar nicht in Lebensmitteln verwendet wurden und/oder bei denen Zweifel an ihrer Sicherheit bestehen.
Weil Nahrungsergänzungsmittel keinem Zulassungsverfahren unterliegen und Festlegungen zu zugesetzten Stoffen (Positivlisten) und deren Höchstmengen in der Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung bzw. der EU-Richtlinie 2002/46/EG seit über 20 Jahren fehlen, sind die Landesüberwachungsbehörden in der Verantwortung, die Einstufung der Produkte als Nahrungsergänzungsmittel sowie deren Wirksamkeit und Sicherheit in jedem Einzelfall zu bewerten sowie bestehende Mängel zu ahnden. Und das passiert ganz schön häufig: Der WDR/Quarks hat 2023 erstmals deutschlandweite Daten zu untersuchten Proben und Beanstandungen gesammelt und ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass im Schnitt fast jede zweite Probe auffällig war, in einigen Bundesländern sogar zwei von drei Produkten.
Probleme die sich aus der derzeitigen Gesetzeslage ergeben:
- Abgrenzungsfragen zwischen den verschiedenen Produktkategorien - also ob es sich bei Produkt x, wie vom Hersteller eingestuft, um ein Nahrungsergänzungsmittel, eine EBD, ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt handelt - sind immer im Einzelfall und oft per Gerichtsurteil zu klären. Das kostet Zeit, wodurch ein Produkt oft jahrelang unrechtmäßig auf dem Markt ist. Typisches Beispiel sind Produkte mit Melatonin.
- Die Sicherheit der Nahrungsergänzungsmittel (Einstufung der zugesetzten Stoffe und Höchstmengen) muss jeweils im Einzelfall geprüft werden.
- Die Beweislast liegt bei den (chronisch überlasteten) kommunalen Lebensmittelüberwachungsbehörden.
Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch: Die Lebensmittelüberwachung hat nur begrenzte Kapazitäten und arbeitet nach dem Prinzip der Stichprobenkontrolle, für gerichtsfeste Probenahmen aus dem Internet gibt es zwar inzwischen eine Rechtsgrundlage (LFGB §43a), darf aber nur über die Landesbehörden erfolgen und bereitet immer noch logistische Problem. Der Zugriff auf Produkte im Direktvertrieb/Multi-Level-Marketing ist für die Behörden schwierig. Noch viel problematischer ist die Überwachung von Produkten die über die sozialen Medien wie Facebook, Instagram, Tiktok, WhatsApp-Kanäle etc. vertrieben werden, insbesondere wenn Werbung in sogenannten Stories oder Reels gemacht wird, da diese oft nur 24 Stunden online sind oder aber nach einmaligem Ansehen automatisch gelöscht werden. Einem globalen Lebensmittelmarkt steht somit eine auf Landkreis-Ebene organisierte Lebensmittelüberwachung mit fehlender länderübergreifender Vernetzung gegenüber.
Weiterführende Informationen:
- Übersicht zu rechtlichen Informationen zu Nahrungsergänzungsmitteln
- Positionspapier des Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbraucherzentralen
- Verbraucherzentralen fordern Regelungen für Pflanzenstoffe
Quellen:
Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung, Fassung vom 05.07.2017 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.06.2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel, Fassung vom 06.02.2024 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
Verordnung (EU) Nr. 609/2013 über Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung, Fassung vom 21.03.2023 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
Delegierte Verordnung (EU) 2016/128 im Hinblick auf die besonderen Zusammensetzungs- und Informationsanforderungen für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, Fassung vom 15.07.2021 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
BVL: Nahrungsergänzungsmittel (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
BVL: Nahrungsergänzungsmittel versus Arzneimittel (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
Arbeitskreis Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes fuür Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS):
Abgrenzung Arzneimittel – Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. 115. ALS-Sitzung, Stellungnahme Nr. 2020/12, S. 19 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)
Gemeinsame Expertenkommission zur Einstufung von Stoffen (2023): Grundsatzpapier Pharmakologische Wirkung (Nr. 02/2023), Stand: 18.09.2023 (zuletzt abgerufen am 22.07.2024)