Spermidin und Anti-Aging: Untersuchungen haben gezeigt, dass im Alter die Spermidinkonzentration in den Zellen abnimmt, wodurch das Altern (z. B. neurodegenerative Prozesse) begünstigt werden soll. Im Labor lebten Fadenwürmer und Hefen länger als ihre Artgenossen, wenn sie zusätzliches Spermidin zur Verfügung hatten. Auch in einer (kleinen) Beobachtungsstudie an Menschen konnte eine Assoziation zwischen dem Verzehr spermidinhaltiger Lebensmittel und einer längeren Lebensdauer gezeigt werden. Inzwischen deuten Ergebnisse weiterer Auswertungen dieser Daten an, dass eine vergleichsweise hohe Spermidinzufuhr über Lebensmittel auch eine altersbedingt nachlassende Hirnleistung hinauszögern könnte. An Taufliegen und Mäusen konnte bereits gezeigt werden, dass Spermidin die Funktion der Mitochondrien („Kraftwerke“ der Zellen) des Nervengewebes positiv beeinflussen kann und unter bestimmten Bedingungen Taufliegenhirne langsamer altern lässt. Aus diesen Ergebnissen automatisch eine positive Wirkung von Spermidin z. B. in Form von Nahrungsergänzungsmitteln abzuleiten, wäre allerdings falsch: Ergebnisse aus Tierstudien müssen durch klinische Studien am Menschen bestätigt werden, da sie nicht per se auf den Menschen übertragbar sind. Daran ändern auch wohlklingende Schlagzeilen wie „Spermidin verbessert die Gedächtnisleistung“ nichts.
Die Bioverfügbarkeit von Spermidin im Menschen war bis vor kurzem kaum untersucht. Eine im April 2023 veröffentlichte Humanstudie (randomisiert, plazebokontrolliert, dreifachblind) konnte zeigen, dass Spermidin vor Eintritt in den Blutkreislauf zu Spermin umgewandelt wird. Das bestätigte die Vermutung, dass biogene Polyamine im Verdauungstrakt zum größten Teil abgebaut werden. Selbst sehr hoch dosiertes Spermidin (15 mg/Tag) hatte keine Auswirkung auf den Blutplasmaspiegel an Spermidin oder Putrescin. Demnach ist es eher unwahrscheinlich, dass handelsübliche Spermidinpräparate in maximal erlaubter Dosierung die erhoffte Wirkung haben.
Damit sind spermidinhaltige Nahrungsergänzungsmittel eher nicht in der Lage, einen Fastenzustand vorzutäuschen. Zudem sind die Wirkungen des Fastens auf den Körper komplex und können nicht durch Einnahme einer einzigen Substanz simuliert werden. Auch zeigte sich, dass der Verzicht auf spermidinhaltige Lebensmittel die Menge des Spermidins im Blut nicht reduzierte. Spermidin ist also kein Ersatz für das Fasten und auch nicht sinnvoll zur Unterstützung des Fastens.
Spermidin und Corona: (Corona-)Viren hemmen die Autophagie in Zellen, die sie befallen haben. In einer Untersuchung an coronainfizierten Lungenzellen gelang es, mit Spermidin, die Autophagie und damit einen natürlichen Abwehrmechanismus der Zellen teilweise zu reaktivieren. Die in dieser Laborstudie verwendete Konzentration von Spermidin war jedoch so hoch, dass sie im Menschen weder durch eine spermidinreiche Ernährung, noch durch Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln erreicht werden kann. Die Ergebnisse sind auf den Menschen also nicht übertragbar. Deshalb ist es nicht möglich, mit Spermidin eine Covid-19-Erkrankung zu therapieren. Vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 schützt Spermidin ebenfalls nicht.