Schlechte Essgewohnheiten, neue Herausforderungen in Schule und Freizeit - ist unser Kind unterversorgt?
Kinder haben ihren eigenen Kopf beim Essen
Essen und Trinken haben entscheidenden Einfluss darauf, wie sich Kinder körperlich und geistig entwickeln, wie gut sie sich konzentrieren können und wie widerstandsfähig sie gegen Krankheiten sind. Der kindliche Stoffwechsel arbeitet deutlich schneller als der von Erwachsenen, weil Kinder wachsen und sich viel mehr bewegen. Deswegen benötigen sie mehr Energie/Kalorien pro Kilogramm Körpergewicht als Erwachsene.
Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder beim Essen ihren eigenen Kopf haben und natürlich nicht immer das essen, was empfohlen wird. Zu oft wird zu süßen Getränken, Wurst, Süßwaren und Knabbereien gegriffen, angebotene "gesunde" Lebensmittel wie Gemüse werden abgelehnt. Viele Mütter und Väter sind verunsichert, ob ihr Spross trotzdem ausreichend versorgt ist, insbesondere dann, wenn das Kind sich gerade in einem Wachstumsschub befindet oder vor neuen Herausforderungen steht.
Zwei große deutsche Studien - DONALD und ESKIMO - zeigen, dass bis auf wenige Ausnahmen die Nährstoffversorgung bei Kindern allgemein gut ist. Nicht gänzlich erreicht werden die empfohlenen Mengen für die Vitamine Folat und Vitamin D sowie die Mineralstoffe Eisen, Jod und Calcium (Kalzium). Das bedeutet aber nicht, dass diese Kinder an einem Mangel leiden, da die Empfehlungen sehr großzügig bemessen sind. Eine Verbesserung der Versorgung mit herkömmlichen Lebensmitteln kann aber nicht schaden. So sollte täglich eine abwechslungsreiche Kost mit reichlich Vollkorngetreideprodukten, Gemüse, Obs, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen sowie Kartoffeln und (fettarmen) Milchprodukten - möglichst unter Berücksichtigung des kindlichen Geschmacks - angeboten werden.
Wichtig ist dabei das Vorbild der Eltern.
Die Vitamin D-Versorgung wird durch regelmäßiges, längeres Spielen im Freien maßgeblich verbessert und so erhöht sich ganz nebenbei auch noch der Energieverbrauch. Kinder benötigen in der Regel keine Extra-Vitamine oder Mineralstoffe (Nahrungsergänzungsmittel) - weder in der Grundschule noch beim Wechsel auf eine weiterführende Schule.
Welche Produkte empfiehlt die Werbung, was ist sinnvoll?
Im Handel sind Nahrungsergänzungsmittel für Kinder und Jugendliche mit einer ganzen Reihe an Vitaminen, Mineralstoffen oder Omega-3 Fettsäuren erhältlich - oft in kindgerechten Formen wie Bärchen oder Autos. Auch Obst- und Gemüseextrakte werden als "Säfte" oder Fruchtgummis für Kinder angeboten. Sie sollen die Abwehrkräfte stärken, Vitaminmangel vorbeugen oder gegen Schulstress wirken. Beworben werden sie mit Aussagen wie "Welches Kind isst schon 3mal täglich Gemüse" oder auch "Ist Ihr Kind häufig krank?". Auch sollen sie uns glauben machen, dass Kinder den Herausforderungen des modernen kindlichen Alltags mit einer Extraportion Vitaminen, Mineralstoffen oder speziellen Fettsäuren besser begegnen können - vor allem, wenn sie leistungsfähiger als andere sein sollen oder Lernschwächen und Konzentrationsprobleme bestehen.
Mit emotional aufgeladenen Aussagen wie "die Zukunft braucht Superhelden" wird suggeriert, Kinder benötigten eine "gehirnspezifische" Ernährung. Speziell für zappelige Kinder werden öfter Produkte angeboten, die als Hauptkomponente Omega-3-Fettsäuren enthalten. Ergänzt um verschiedene Vitamine, versprechen Hersteller vielfältigste Verbesserungen oder Unterstützung der Denk- und Lernleistungen des Kindes.
Viele der beworbenen Aussagen sind wissenschaftlich nicht bewiesen. In Bezug auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern ("Kinderclaims") dürfen laut Health-Claims-Verordnung (HCVO) nur für sehr wenige Inhaltsstoffe überhaupt Gesundheitsaussagen getroffen werden. Eine Auflistung der zugelassenen Werbeaussagen finden Sie in der Tabelle.
Inhaltsstoff |
Wirkung |
Calcium, Vitamin D (sowie Calcium + Vitamin D), Phosphor, Protein |
...werden für ein gesundes Wachstum und eine gesunde Entwicklung der Knochen benötigt |
Vitamin D |
...trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei Kindern bei |
DHA (Omega-3 Fettsäure geht aus Alpha-Linolensäure hervor) |
...trägt zur normalen Entwicklung der Sehkraft bei Säuglingen bis zu 12 Monaten bei
...Aufnahme von DHA durch die Mutter trägt zur normalen Entwicklung der Augen beim Fötus und beim gestillten Säugling bei
...Aufnahme von DHA durch die Mutter trägt zur normalen Entwicklung des Gehirns beim Fötus und beim gestillten Säugling bei |
Alpha-Linolensäure (Omega-3 Fettsäure) und Linolsäure |
..werden für ein gesundes Wachstum und eine gesunde Entwicklung benötigt |
Jod |
...trägt zum normalen Wachstum bei |
Eisen |
... trägt zur normalen kognitiven Entwicklung bei |
Diese Inhaltsstoffe versprechen aber lediglich eine Gewährleistung der normalen Körperfunktionen. Eine Verbesserung z.B. von schulischen Leistungen kann, außer bei einem echten Mangel, durch eine Nährstoffgabe nicht erzielt werden. In der Regel sind Kinder und Jugendliche mit Nährstoffen gut versorgt. Einen richtigen Nährstoffmangel gibt es nur selten. In diesem Fall muss die Ursache ermittelt werden und auch die Behandlung sollte dann in kinderärztlicher Hand liegen.
Bei den für Säuglinge und Kleinkinder empfohlenen Vitamin D- und Fluortabletten handelt es sich nicht um Nahrungsergänzungsmittel, wie bei den bisher besprochenen Produkten für Kinder, sondern um Arzneimittel. Sie dienen der Vorbeugung von Krankheiten wie Rachitis und Karies. Die Kosten dafür werden von den Krankenkassen übernommen. Ab einem bestimmten Alter - die Entscheidung trifft die Kinderärztin bzw. der Kinderarzt - reichen dann in der Regel ganz normale Lebensmittel und viel Bewegung im Freien bzw. die Verwendung von geeigneter flouridhaltiger Kinder-Zahnpasta aus.
Worauf sollte ich bei der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder achten?
Nahrungsergänzungsmittel sind kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung und können einen ungesunden Lebensstil nicht korrigieren. Vitaminpräparate oder auch "Das Beste aus Gemüse und Obst" in Kapsel- oder Bärchenform enthalten nur einen Bruchteil dessen, was in den entsprechenden Lebensmitteln tatsächlich enthalten ist; zum Beispiel fehlen oft die wertvollen Ballaststoffe.
In den meisten Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder befinden sich Nährstoffe, mit denen die Kinder in der Regel schon gut versorgt sind. Wer denkt "viel hilft viel", der täuscht sich. Eine Überversorgung mit bestimmten Nährstoffen birgt ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.
Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe hat zwischen 2021 und 2023 Nahrungsergänzungsmittel für Kinder untersucht. 19 der 31 Proben waren explizit für Säuglinge und Kleinkinder bestimmt. Diese waren allesamt nicht verkehrsfähig. Problematisch waren vor allem die festgestellten Überschreitungen der sicheren Tageshöchstmengen von Folsäure. Auch die übrigen Nährstoffmengen lagen häufig über den Werten für eine angemessene Zufuhr, was vor allem bei jungen Kindern als kritisch betrachtet wird.
Das Fazit: Von Nahrungsergänzungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder sei daher grundsätzlich abzuraten. Das CVUA Karlsruhe rät Eltern ebenfalls davon ab, älteren Kindern Nahrungsergänzungsmittel zu verabreichen. Es wird empfohlen, auf natürliche Nährstoffquellen aus herkömmlichen Lebensmitteln durch ausgewogene Ernährung zu setzen und gegebenenfalls ärztlichen Rat einzuholen, sofern die Unterversorgung eines Nährstoffs befürchtet wird.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt aus Sicherheitsgründen, dass der Vitamin A-Gehalt in Nahrungsergänzungsmitteln nicht höher als 200 µg liegen, Betacarotin (Provitamin A) am besten gar nicht enthalten sein sollte. Gleiches gilt für die Spurenelemente Kupfer und Bor, deren Zusatz für Kinder und Jugendliche nicht geeignet ist. Auch Fluorid sollte in Nahrungsergänzungsmitteln nicht enthalten sein. Höchstmengenempfehlungen für Kinder-Nahrungsergänzungsmittel gibt es nicht, die vorhandenen richten sich an Jugendliche über 15 Jahren und Erwachsene.
Bei einem Marktcheck der Verbraucherzentralen lagen drei Viertel der untersuchten Nahrungsergänzungsmittel für Kinder bei mindestens einem der Vitamine oder Mineralstoffe über dem Referenzwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für 4- bis 7-Jährige. Ein großer Teil überschritt oder reichte sogar die vom Bundesinstitut für Risikobewertung vorgeschlagenen Höchstmengen, die erst für Personen ab 15 Jahren vorgesehen sind.
Besonders kritisch sind Kinderprodukte in Form von Fruchtgummis in Bärchen oder Autoform zu sehen, insbesondere wenn sie sich darüber hinaus noch statt in einem Blister in einem "Bonbon"-Glas befinden. Da besteht nicht nur Verwechslungsgefahr, die Verlockung für Kinder ist groß, sich öfter mal selbstständig aus dem Glas zu bedienen. Die teilweise vorhandenen Sicherheitsverschlüsse sind schon von vielen 6-Jährigen leicht zu "knacken".
Sobald Kleinkindern die Zähne mit fluoridierter Zahnpasta geputzt werden, sollten laut BfR keine Fluoridtabletten (in der Regel Arzneimittel) mehr gegeben werden, da Kleinkinder alleine durch das Verschlucken von Zahnpasta schon genau so viel Fluorid aufnehmen wie durch Tabletten oder fluoridiertes Speisesalz. Bitte besprechen Sie das mit Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Kinderärztin.