Das Wichtigste in Kürze:
- Die Nährstoffgehalte in Gemüse und Obst sind von Sorte, Klima, Boden, Düngung, Lichteinfluss und anderen Faktoren abhängig.Eine veränderte Sortenwahl hat in den letzten Jahrzehnten zu höheren Erträgen, aber teilweise niedrigeren Vitamin- und Mineralstoffgehalten bei Gemüse, Obst und Getreide geführt.
- Das ganzjährige Obst- und Gemüseangebot im Handel ist deutlich größer als vor 50 Jahren - wichtig ist, daraus vielfältig zu schöpfen.
- Eine schlechte Nährstoffversorgung wird durch Fehl- und Mangelernährung verursacht.
Was sagt die Werbung?
Glaubt man den Aussagen vieler Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, so sieht unsere Nährstoffversorgung derzeit kritisch bis dramatisch aus: Pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Getreide seien stark an Inhaltsstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen verarmt, man müsse die 10-fache Menge davon essen, um die gleiche Nährstoffmenge wie früher aufzunehmen. Der Gehalt an "Vitalstoffen" falle seit den 70er Jahren rapide.
Als Grund werden ausgelaugte und schadstoffbelastete Böden in der Landwirtschaft genannt, die zu einem drastischen Verlust an Pflanzeninhaltsstoffen führten. Darüber hinaus sollen unreif geerntete Früchte, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, gentechnisch verändertes Saatgut, UV-Bestrahlung, lange Transportwege und Lagerzeiten zu den Nährstoffverlusten beitragen. Da immer mehr Quantität statt Qualität produziert werde, könnten sich die Böden nicht erholen und man müsse nun zu Nahrungsergänzungsmitteln und speziellen Vitaminsäften greifen.
Wie sieht die Wirklichkeit aus?
Zwar sind unsere heimischen Böden arm an Selen und Jod. Aber Bodenuntersuchungen in intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen zeigen, dass Böden nicht weniger Pflanzennährstoffe als früher enthalten. Eher das Gegenteil ist der Fall. Um ein Zuviel an Nährstoffen zu verhindern, finden beispielsweise regelmäßige Bodenuntersuchungen statt und es muss termingerecht gedüngt werden.
Dennoch wurde in Studien in einigen Obst-, Gemüse- und Getreidesorten ein niedrigerer Vitamin- und Mineralstoffgehalt festgestellt als noch in den 1950er Jahren. Dies zeigen Untersuchungen aus den USA, Großbritannien und Australien, die über mehrere Jahrzehnte durchgeführt wurden. Als Ursachen werden „moderne Anbaumethoden“ genannt, welche die Bodenökologie stören, sowie Hochertragssorten wie Getreide mit verkürzten Halmen. Während die Erträge stiegen, also beispielsweise mehr Getreide mit höherem Stärkegehalt produziert wurde, sank gleichzeitig der Mikronährstoffgehalt. Der Nährstoffgehalt der Böden selber hat nicht abgenommen, aber die Pflanzen nehmen weniger Mikronährstoffe auf. Zusätzlich führen auch steigende CO2-Gehalte in der Atmosphäre zu steigenden Kohlenhydrat-/Stärkegehalten und einem teilweise geringeren Eiweißanteil. Der CO2-Düngereffekt ist aber weniger stark als die Verwendung der Hochleistungssorten.
Die Abweichungen im Nährstoffgehalt wurden von den Studienautoren als nicht relevant in Bezug auf die Gesundheit von Verbraucher:innen angesehen.
Dass die Nährstoffgehalte einzelner Hochleistungspflanzen zum Teil gesunken sind, führt in Regionen, die insgesamt gut mit Lebensmitteln versorgt sind, nicht zur Mangelernährung. Teilweise liegen die Veränderungen im Bereich normaler Schwankungen.
Abwechslung schützt!
Besonders in Industrieländern wie Deutschland braucht man keine Unterversorgung zu befürchten - sofern insgesamt ausgewogen, bunt und abwechslungsreich gegessen wird. Für eine optimale Versorgung sollten vor allem die empfohlenen Portionen an Obst, Gemüse und Vollkorngetreide verzehrt werden. Durch Importe, die Lagerung in modernen Kühlhäusern und Tiefkühlprodukte haben wir, anders als früher, das ganze Jahr eine reichhaltige Auswahl an Gemüse und Obst. Eine einseitige Ernährung im Winter mit hauptsächlich Kohl, Kartoffeln und Rüben wie vor 70 Jahren ist nicht mehr zu befürchten.
Wovon hängt der Nährstoffgehalt ab?
Natürlicherweise kommt es immer wieder zu teilweise starken Schwankungen im Mineralstoff- und Vitamin-Gehalt von Nahrungspflanzen. Grundsätzlich hängen Vitamin- und Mineralstoffgehalte in Gemüse, Obst und Getreide nämlich von vielen Faktoren ab, beispielsweise
- vom Bodentyp und der Nährstoffversorgung/Düngung des Bodens
- von den klimatischen Bedingungen: z. B. Sonneneinstrahlung, Temperatur, Wasserzufuhr
- von der Sorte: Hochleistungssorten enthalten weniger Vitamine und Mineralstoffe als ihre wilden Verwandten.
Manche Apfelsorten haben von Natur aus einen sehr hohen Vitamin-C-Gehalt wie der Berlepsch, andere einen eher niedrigen wie die Renette. Ähnlich sieht es bei anderen Obst- und Gemüsearten aus. Beispielsweise kann der Gehalt an Beta-Carotin bei zehn verschiedenen Sorten der roten Paprika um das 30-fache schwanken. - vom Reifegrad und dem Erntezeitpunkt,
- der Dauer und der Art der Lagerung: Manche Gemüsesorten können sehr gut längere Zeit gelagert werden, ohne dass nennenswerte Nährstoffmengen verloren gehen, zum Beispiel Rüben oder feste Kohlköpfe.
Auch sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Lykopin usw. können zwar in Hochleistungssorten verringert sein. Dennoch gehen Wissenschaftler:innen vom Max-Rubner-Institut davon aus, dass für den Gesundheitseffekt nicht einzelne Gruppen an Pflanzenstoffen verantwortlich sind, sondern die Vielfalt und Komplexität der gesamten Ernährung.
Böden, die im Lauf der erdgeschichtlichen Entwicklung ausgewaschen wurden, betreffen hauptsächlich die Spurenelemente Jod, Fluorid und Selen. Durch die Anreicherung von Speisesalz, Zugabe ins Tierfutter und vor allem auch unsere globalisierte Ernährungsweise kann hier jedoch Mängeln vorgebeugt werden.
Manche Früchte werden tatsächlich unreif geerntet - es handelt sich hierbei jedoch um sogenannte "nachreifende Früchte", deren Reife schon so weit fortgeschritten ist, dass sie sich nach der Ernte noch bis zur Genussreife entwickeln können (zum Beispiel Bananen, Avocados usw.). Dies wird meist mit Hilfe eines Reifegases (Ethylen) erreicht. Werden sie zu lange gelagert, kann der Vitamin-C-Gehalt leiden. Werden Früchte zu früh geerntet, so dass sie die Genussreife nicht erreichen, schmecken sie nicht und verderben auch schneller.
Was sagen Tabellenwerte aus?
Werden Zahlen in Nährstofftabellen angegeben, so handelt es sich nicht um genaue Werte, sondern um den Durchschnitt einer mehr oder weniger großen Spanne, die in Untersuchungen ermittelt wurde. Sie stellen Anhaltspunkte dar, lassen lediglich bestimmte Tendenzen erkennen: Ein Mensch, der niemals Milchprodukte aufnimmt, kaum calciumreiche Gemüse und Nüsse verzehrt und auch ansonsten in keiner Form Calcium zu sich nimmt, wird Probleme mit der Calciumversorgung haben.
Die Analysemethoden sind heute sehr viel genauer und spezifischer als in den 60er oder 70er Jahren. Es können heute zum Beispiel die Gehalte an einzelnen Carotinoiden ermittelt werden (Beta-Carotin, Lutein, Zeaxanthin, Lykopin usw.) anstelle eines Gesamt-Carotinoidwertes. Auch die Aufbereitung der Lebensmittelstichproben kann unterschiedlich erfolgt sein.
Das bedeutet: Ein einfacher Vergleich von 50 Jahre alten Tabellenwerten mit heutigen Daten macht wenig Sinn. Es müssten wenigstens Analysewerte gleicher Obst- und Gemüsesorten aus der gleichen Region verglichen werden, die mit denselben Analysemethoden untersucht wurden. Es wird sonst leicht der Eindruck erweckt, dass sich der Mikronährstoffgehalt in bestimmten Lebensmitteln verändert habe - obwohl hier eigentlich "Äpfel mit Birnen" verglichen wurden.
- Obst und Gemüse liefern sowohl in Form von Rohkost als auch schonend gekocht viele Nährstoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe wie Aromen oder Polyphenole. Beta-Carotin in der Möhre und Lykopin in Tomaten werden durch Zerkleinern und Kochen erst richtig gut für den menschlichen Organismus nutzbar.
- Übergaren und langes Warmhalten zerstören jedoch Vitamine.
- Am besten essen Sie Erntefrisches und vermeiden lange Lagerzeiten. Gemüse und Obst der Saison und aus der Region sind gute Nährstofflieferanten und besonders schmackhaft.
- Im Winter gibt es Gemüse und Obst aus Lagerhaltung (zum Beispiel Äpfel, Kartoffeln, Kohl, Möhren usw.); Zitrusfrüchte und Tiefkühlgemüse oder -beeren können den Speiseplan bereichern.
Zum Weiterlesen:
Saisonkalender: Obst und Gemüse frisch und saisonal einkaufen
Quellen:
Marles RJ (2017): Study Review. Mineral nutrient composition of vegetables, fruits and grains: The context of reports of apparent historical declines. Journal of Food Composition and Analysis 56: 93-103. https://doi.org/10.1016/j.jfca.2016.11.012
Dirt Poor: Have Fruits and Vegetables Become Less Nutritious? Scientific American, Stand: 27.04.2011 (abgerufen am 06.04.2023)
Davis DR et al (2003/2013): Changes in USDA Food Composition Data for 43 Garden Crops, 1950 to 1999. Journal of the American College of Nutrition, 23:6, 669-682, DOI: 10.1080/07315724.2004.10719409
Rothamsted Research (2020): Blog – Fact of fake news: Is our food becoming less nutritious? Stand: 09.01.2020 (abgerufen am 06.04.2023)
Kirchhoff E: Vitamin- und Mineralstoffgehalt pflanzlicher Lebensmittel. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Bonn (2004): Ernährungsbericht 2004, S. 207ff. DGE-Medienservice, Bonn.
Schäfer S (2013): Schrecklich gesund. Trotz vieler Lebensmittelskandale: Jeder kann sich heute gut ernähren. Die Zeit, Ausgabe 13, Stand: 21.03.2013 (abgerufen am 06.04.2023)
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung: Vitamine - wie man sie zerstört und wie man sie schont. Tabula Nr. 2, April 2004 (abgerufen am 06.04.2023)
Burger K (2014): Werden Obst und Gemüse immer ungesünder? Spektrum, Stand: 06.08.2014, eingesehen am 06.04.2023